Als Maria und ich am Abend ihre Freundin nach Hause brachten, stimmten die beiden ein neues Lied an, dass sie in der Schule im Musikunterricht gelernt hatten: „Alle Kinder, Groß und Klein, wissen längst Bescheid. Dass Frau Holle Betten macht, wenn es tüchtig schneit. Aber auch dort oben blieb die Welt nicht steh'n. Und wer durch die Wolken guckt, der kann auch öfter seh'n: Herr Holle, Herr Holle, der schüttelt jetzt die Betten aus, die Betten aus, denn er hilft seiner Frau im Haus, denn er hilft seiner Frau im Haus: Herr Holle, Herr Holle, das wird ja Zeit, das wird ja endlich Zeit. Viele hundert Jahre lang hat er sich gedrückt, darum streut er auch den Schnee heut so ungeschickt …“ Ich bekam mich nicht wieder ein. Maria sollte es mir auf dem Rückweg gleich nochmal vorsingen. Und noch mal. Und nochmal.
Als ich geboren wurde, konnten Frauenkarrieren schon an der Küchenschwelle scheitern. Der Paragraph 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches schrieb fest: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Erst 1977 wurde daraus „Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.“
Dass nun - dank der Kinderbuchautorin Christamaria Fiedler - auch „Herr Holle“ bei der Hausarbeit anpackte, fand ich großartig. Für Maria war meine Begeisterung sicher etwas befremdlich. Sie ist damit aufgewachsen, dass Angela Merkel die Chefin von Deutschland ist, dass ihr Papa das Abendessen kocht, weil Mama erst aus dem Büro kommt und alle im Haushalt mithelfen. Gleichberechtigung von Mann und Frau ist für sie selbstverständlich. Sätze wie „Das ist nur was für Jungs“ bekommt sie hoffentlich nicht zu hören.
Ich aber denke sie dummerweise manchmal noch. So wie letztens, als uns ein Freund besuchte. Maria zeigte ihm auch irgendwann ihre Lieblings-Apps im Tablet. PuppetPals, mit der sie kinderleicht eigene Trickfilme kreieren kann, und Monument Valley, mit der sie die stumme Prinzessin Ida auf einer surrealen Entdeckungsreise begleitet.
Danach zeigte er ihr SimCity BuildIt, eine App zum virtuellen Städtebauen, die er und sein Sohn gerne spielten. Am nächsten Tag hatte Maria ihren Papa dazu gebracht, das Spiel auf seinem Tablet zu installieren. Als ich abends nach Hause kam, baute Maria dort in ihrer eigenen Stadt Häuser und Straßen, ließ in Fabriken Holz und Eisen produzieren. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mein „Das ist doch ein Jungs-Spiel“ herunterschlucken. Ich ärgerte ich mich über mich selbst, war ich doch voll in die Klischee-Falle getappt.
Ich ließ mir von Maria das Spiel erklären. Sie zeigte mir „ihre Stadt“ und unser Haus darin, ihre Fabriken, ihre Straßen, ihre Hochhäuser, ihren Hafen und ihr Handelszentrum. Geduldig erzählte sie mir, wie sie die produzierten Nägel, Hölzer und andere Waren ihrer Fabriken zum Verkauf oder für die Baustellen benutzen konnte, um ihre Stadt zu vergrößern und ins nächste Level zu kommen. Anfangs erschien mir das ganze doch eher langweilig. Inzwischen sitze ich aber manchmal abends mit dem Tablet auf den Knien und bestückte heimlich die Fabriken, belade die Containerschiffe oder produziere Nägel für sie. Und manchmal baue ich auch ein Haus.
Wenn unser Freund das nächste Mal kommt, will ich ihn bitten, ihr Minecraft zu zeigen. Auch so ein „Jungs-Spiel“, was vielleicht ziemlich cool für Mädchen ist.
Bei Youtube gefunden: Zweitklässler singen das Lied "Herr Holle" von Christamaria Fiedler