„Ich glaube, in ein paar Jahren wird man sagen: Bist du schon erwachsen oder hattest du noch keinen Shitstorm?”, meinte der TV-Produzent Friedrich Küppersbusch vor kurzem bei einer Diskussion über die Zukunft des Journalismus. Wenn es soweit kommen sollte, möchte ich, dass meine Tochter aufrecht durch den Sturm geht, nicht aus Angst ihre Ideale verrät und sich wegduckt.
Schon heute ziehen dreckige Windmacher, beladen mit Häme und Bösartigkeiten in Horden durch die digitale Welt und drehen sich um Querdenker, Feministinnen, Ausländer, Inländer und Menschen mit Idealen, aber auch um Nachrichten und Artikel zu einem schwarzen Tornado aus Beleidigungen, Verschwörungen, Provokationen und Drohungen.
Eigentlich sollte man die Verursacher von Shitstorms „Sturmscheißer“ nennen, durchgesetzt hat sich leider der Begriff „Troll“. Zu analogen Zeiten war das ein mythisches Fabelwesen mit übernatürlichen Kräften, plump, schlecht gelaunt und gefürchtet. Heute ist es ein Mensch, der im Schutz der Anonymität mit der Macht der Worte im Internet wütet. „Worte sind ein Mittel, um Menschen aus einer Gruppe auszugrenzen und psychischen Abstand zu erzeugen. Das kann soweit gehen, dass ihnen emotional die Menschlichkeit aberkannt wird“, sagt Diplompsychologin Dorothee Scholz im Interview in der Broschüre „,Geh sterben!' - Hate Speech und Kommentarkultur im Internet“ der Amadeu Antonio Stiftung. Im Gedenken an Amadeu Antonio, der 1990 von rechten Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde, weil er schwarz war, setzt sich die Stiftung auch in der digitalen Welt für eine demokratische Zivilgesellschaft ein.
In der Broschüre kommen Shitstorm-Opfer zur Wort. Jasna Strick, Feministin und eine der Initiatorinnen des Hashtags #Aufschrei, der 2013 eine bundesweite Debatte über Sexismus in Gang setzte, erzählt, wie der digitale Mob ihr reales Leben verdreckte: „Ich litt und leide immer noch unter Albträumen. Fremde Männer, die zu meinen Vorträgen kommen, bereiten mir Angst. Ich gehe nicht mehr an unterdrückte Nummern, weil auch meine Handynummer im Netz veröffentlicht wurde. Ich habe kein Blog-Impressum mehr, damit meine Adresse nicht mehr auffindbar ist. Mein Instagram-Account ist privat geschaltet, damit wenigstens nur Fotos von Twitter verschandelt werden können.“
Marilyn Campbell, Cybermobbing-Expertin der Queensland University of Technology in Brisbane, berichtet, dass auch die Zahl der Menschen steigt, die im beruflichen Umfeld zu Shitstorm-Opfern werden. Und damit meint sie nicht nur Online-Redakteure. Immer mehr Arbeitgeber ermutigen ihre Mitarbeiter mit Blogs, Kommentaren oder Netzwerk-Profilen im Internet aktiv zu werden. In dem "Daily Life"-Artikel kommt auch Jenna Price zu Wort, die an der University of Technology in Sydney unterricht. Die Feministin erzählt, wie sie Vergewaltigungs- und Morddrohungen gegen sich und ihre Töchter bekam: „Es ist schrecklich eine E-Mail zu öffnen und Bilder von enthaupteten Frauen zu sehen oder von Frauen, die geschlagen und sexuell missbraucht wurden. Ich hatte schlaflose Nächte."
Wie kann man reagieren, wenn sich Sturmscheißer zusammenrotten? Eine Zeitlang hieß es vor allem: „Do Not Feed The Troll“ - den Troll nicht füttern. Ignorieren, die Kommentare löschen, den Nutzer blockieren. Warten, dass der Sturm vorbeizieht. Es gibt aber auch Möglichkeiten, sich ihm aktiv entgegenzustellen. Mit Argumenten. Mit Ironie. Mit öffentlichem Beistand für die Opfer.
In Australien hat der Radio-Sender ABC mit Social-Media-Selbstverteidigungkursen für Mitarbeiter begonnen. Dort gibt es mentale wie praktische Tipps und einen Überblick über die Gesetze gegen Online-Schläger.
Vielleicht werden Kurse in digitaler Selbstverteidigung in ein paar Jahren selbstverständlich sein.
Dann würde ich mit meiner Tochter gemeinsam hingehen.
Beitrag vom Medien-Magazin Zapp
Auch die Initiative klicksafe beschäftigt sich mit Online-Gewalt