Erinnern Sie sich noch an den Moment, als aus den Kritzeleien ihres Kindes zum ersten Mal zu erahnen war, was es gezeichnet hatte? Dieses Glücksgefühl über Striche, die sich zu einem Bild formten?
Mit Beginn der Schulzeit wird aus den Kritzeleien eine ernsthaftere Angelegenheit. Kunst heißt das Fach in der Schule. Kunst, da denkt man an DaVinci, Caravaggio oder Picasso, nicht an Kinderzeichnungen. Ich erinnere mich noch, dass ich in Marias Alter ein Clownsbild gemalt hatte und es schön fand. Anders als meine Mal-AG-Leiterin, die erklärte, die Figuren müssten fünf Finger haben und nicht wie auf meinem Bild vier. Ich musste es korrigieren. Meine Clowns gewannen später einen Preis im Mal-Wettbewerb, aber ich mochte das „richtige“ Bild nicht besonders. Mit den Jahren hörte ich auf zu malen und zu zeichnen.
Erst als Mutter begann ich wieder, Stifte und Pinsel in die Hand zu nehmen. Maria störte es nicht, wenn meine Männchen vier Finger hatten.
Kindliche Freude am Zeichnen wieder bei Erwachsenen zu wecken, ist ein Ziel von Sketchnotes. Gekritzelte Notizen aus Bildern, Pfeilen und Worten, bei denen es nicht um künstlerische Perfektion geht. Vor allem in der IT-Branche wurde bei der Entwicklung von Programmen, Internetdiensten und Webseiten das kreative Potenzial der Kritzeleien erkannt.
Eine sorgte 2005 für Schlagzeilen. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos fanden Putzleute nach einer Pressekonferenz von Tony Blair, Bill Gates und U2-Sänger Bono einen zurückgelassenen bekritzelten Zettel und spielten ihn dem „Mirror“ zu. Die britischen Medien hielten ihn für das Werk ihres Premiers, stürzten sich darauf und ließen ihn von Graphologen und Psychologen deuten. Dem Regierungschef wurde aufgrund der Zeichnung unterstellt, er sei Tagträumer, aggressiv, leicht größenwahnsinnig und instabil. Später stellte sich heraus, dass Microsoft-Gründer Bill Gates das Blatt bekritzelt hatte…
Inzwischen sind diese Gedankenschmierblätter als „Doodle“ oder „Sketchnote“ aufgewertet. Auch, weil Website-Designer Mike Rohde eines Tages beschloss, bei Konferenzen und Meetings nicht mehr jedes Detail aufzuschreiben, sich auf die Ideen zu konzentrieren und diese zu skizzieren. Seit 2003 schreibt Rohde darüber in seinem Blog und bringt Sketchnotes-Handbücher heraus. Mich faszinierten schon länger die Arbeiten meiner Freundin, der Bremer Sketchnoterin Diana. Als sie bei der diesjährigen Social Media Week in Hamburg einen Crashkurs anbot, ließ ich mir die Chance nicht entgehen und fuhr hin. Diana erklärte kurz, wie diese Mischung aus Handschrift, Zeichnung und Typografie Ideen einfangen, Infografiken und Konferenzprotokolle aufpeppen kann. Diana wollte uns „infizieren“. Deshalb bekam jeder Teilnehmer einen schwarzen Outliner und zwei FineOne-Stifte mit Pinselspitze. „Es geht um Ideen, nicht um Kunst. Also nur Mut“, meinte Diana und brachte auf dem Flipchart mit ein paar Worten, Strichen, Punkten, Kreisen, Drei- und Vierecken den Workshop zu Papier. Wir kritzelten ihr in Notizheften hinterher, setzten wie sie farbliche Akzente in pastellblau und Schattierungen in kaltgrau und hatten so nach kurzer Zeit eigene Sketchnotes.
Im Zug zurück nach Berlin kritzelte ich ein Mitbringsel für Maria, um ihr ein aktuelles Mathethema zu erklären. Ich ließ Punktrechnung gegen Strichrechnung sketchen und Superklammer erscheinen. Ich greife wieder gerne zu Stift und Papier und kritzle.
Mein Mitbringsel für Maria
Diana hat einen tollen Blog-Beitrag darüber geschrieben, warum und wie gezeichnete Notizen in der Schule helfen können: Sketchnotes in der Schule? Unbedingt!