Es war ein verregneter Tag. Wir konnten ohne schlechtes Gewissen Zuhause bleiben, faulenzen und im Schlafanzug spielen. Maria wollte Verkäuferin sein. Sie stellte so-tun-als-ob-Süßigkeiten für die Puppenkinder neben ihre Kasse, ordnete die Regale ihres Spiel-Kaufmannsladens und öffnete. Ich kaufte Katzenfutter, Kaffee, Waschmittel, Saft, Zitronen, Möhrrüben und packte auch ihr unschlagbares Sonderangebot – einen Gratisfisch – ins rote Einkaufskörbchen. Als es ans Bezahlen ging, brach plötzlich die reale Welt ins Spiel. Maria wollte wissen: „Haben Sie eine Kundenkarte?“
Schon 1959 führte der Stuttgarter Warenhaus-Unternehmer Heinz Breuninger die ersten Kundenkarten in Deutschland ein. Damals noch aus Papier, boten sie die Möglichkeit, „anschreiben“ zu lassen. Die Idee hatte Breuninger von einer Amerikareise mitgebracht. Inzwischen gibt es kaum noch einen Laden, der seine Kunden nicht zu diesem Service drängen will.
Für die Herausgabe von Adressen und Einkaufsgewohnheiten gibt es Rabatte oder Treuepunkte und Werbung in den Briefkasten. Wie Unternehmen Kundenkarten nutzen, beschreibt das Buch „Das Ende des Zufalls“ von Rudi Klausnitzer. US-Supermarktketten sind dank der Datenflut, die Kunden freiwillig an der Kasse hinterlassen, in der Lage, sogar Schwangerschaften zu ermitteln. Greift eine Frau plötzlich zu unparfümierter Lotion, Körperöl und Vitamin-Tabletten, flattert ihr kurz darauf Werbung für Babysachen ins Haus.
Doch wozu brauchte Maria meine Kundenkarte? Sie wollte sie durch einen Schlitz ziehen, für ein schönes Plopp-Geräusch ihrer Kasse. Und da ich mit Papiergeld bezahlen sollte, blieb nur die Kundenkarte. Die Frage danach hatte sie immer wieder gehört, wenn sie mit uns einkaufen war. Und wie im echten Laden antwortete ich mit: „Ich habe keine Kundenkarte.“ Maria ließ nicht locker: „Ich kann Ihnen eine geben.“ „Dann fühle ich mich aber so beobachtet“. Diesmal war meine Tochter baff.
Ich erklärte ihr, dass auf diesem Plastikkärtchen alle Einkäufe gespeichert werden können und ich es beängstigend finde, wenn die Verkäuferin sich an Dinge aus meinem Leben erinnern kann, die ich längst vergessen habe. Das fand sie einleuchtend. Als wir die Rollen im Kaufmannsladen tauschten, sagte sie zu mir, dass sie keine Kundenkarte hat. „Die kann spionieren.“
Danach war sie wieder die Verkäuferin. Und die wollte ihre Kasse zum Ploppen bringen. Deshalb meinte Maria auch nach meiner Kundenkarten-Absage: „Wir haben hier eine ganz neue Karte. Die spioniert nicht. Die ist nur so, damit man weiß, dass sie das gekauft haben. So als Beweis. Aber sie kann es sich nicht merken.“ Ich nahm die Karte. Wir hatten Spaß – und der Kaufmannsladen ein Datenleck.