„Wir bereiten Kinder auf Berufe vor, die es noch gar nicht gibt; Technologien nutzend, die noch nicht erfunden sind; um Probleme zu lösen, die wir heute noch nicht kennen“, meint der US-Mathelehrer und Schuldirektor Karl Fisch in „Shift Happen“.
Anfangs versetzte mich diese Erkenntnis regelrecht in Panik. Wie soll man sein Kind auf etwas vorbereiten, von dem man noch nicht weiß, wie es sich anfühlen wird? Mit mehr Freizeit-Input? Chinesisch, Kampfsport, Instrument lernen, Computerkurse? Die Angebotspalette ist breit. Unsere Tochter geht aber nur einmal die Woche in der Schule zur Töpfern-AG und am Wochenende zum Voltigieren auf den Reiterhof. Sonst spielt sie im Hort mit ihren Klassenkameradinnen vor sich hin und zuhause mit uns. Meist das Kartenspiel Uno oder Monopoly. Und manchmal am Computer. Oder sie bastelt. Oder Freundinnen kommen zu Besuch. Dann verhandeln sie eigentlich mehr, was sie wie spielen wollen, als das sie wirklich spielen. Wir lesen jeden Abend vorm Schlafengehen im Bett und sagen ihr, dass wir sie lieb haben. Zukunftsweisend klingt das alles nicht. Oder doch?
Immerhin ist Maria ein selbstbewusstes, empathisches und neugieriges Mädchen, das sehr genau weiß, was es will. Und wahrscheinlich sind das Eigenschaften, die man auch im 21. Jahrhundert braucht.
Vor kurzem lernte ich Regine kennen. Sie ist Frontend-Entwicklerin – ein Beruf von dem ich bis dahin nicht einmal ahnte, dass es ihn gibt. Als Mädchen träumte sie von einer Karriere als Radprofi – bis sie erfuhr, dass es keine Rennen für Frauen gab. Als die Lehrerin sie in der Schule fragte, was sie denn werden wolle, antwortete Regine: „Was Großes.“ Worauf die Lehrerin meinte: „Das schaffst du nicht!“ Ein tödlicher Satz! Regine hat ihn überlebt!
Nach dem Abitur wollte sie Vortragsreisende werden. Weil es dafür keine Ausbildung gibt, wurde sie stattdessen Langzeitstudentin - 30 Semester an 3 Universitäten in 7 Fächern ohne einen einzigen Abschluss. Danach lernte sie Internet-Programmierung, spezialisierte sich. „Meine Lehrerin hatte Unrecht. Ich arbeite in einem Beruf, den es damals noch nicht gab, habe ein Fachbuch geschrieben, Vorträge und Seminare an der Uni gehalten. Ich finde, das ist erstmal groß genug“, sagt Regine. Einen wichtigen Anteil daran hat sicher ihre Mutter. Sie kündigte Anfang der 1980er ihren Klinikjob, baute eine Scheune zu Deutschlands erstem modernen Geburtshaus aus und lebte ihrer Tochter vor, wie man Träume mit Leben füllen kann – wenn man hart für sie kämpft!
Shift Happens von Karl Fisch
Ein Interview mit Regine Heidorn über die Chancen des Scheiterns