Schön, wenn man Vorurteile hat. Sie machen einem das Leben leichter und die Welt aufgeräumter – gerade in Zeiten der fortschreitenden Granulierung. Ideologische Grenzen des Kalten Krieges sind aufgehoben, das Internet eröffnet unendlichen Raum für jedes noch so kleine Interesse. Da ist es sicher beruhigend, wenn man eine Schublade öffnen und Vielfalt unter einem Etikett zusammenkehren kann. „Generation Ich“ betitelte vor kurzem der Spiegel die studierende Jugend, um diese Woche mit dem Titelthema „Generation Merkel: Unkritisch, ehrgeizig, unpolitisch? Die jungen Deutschen zwischen 18 und 30“ nachzulegen. Wobei das Fragezeichen eher rhetorisch gemeint war. Der Zufall wollte es, dass ich ausgerechnet am Mauerfall-Wochenende auf rund 80 Vertreter der angeblichen Generation Ich/Merkel traf – bei einer offenen Konferenz rund ums Internet - ohne festen Plan, ohne Schubladen.
Das Prinzip entstand 2005 in Silicon Valley und nennt sich BarCamp. Die meist zweitägige Konferenz kostet keinen Eintritt, die Redner bekommen kein Honorar. Es gibt am Anfang nur eine Art allgemeinen Titel, Konferenzräume (große wie kleine) und internetaffine Menschen, die Lust auf Austausch haben. Wikipedia beschreibt ein BarCamp als offene Tagung, „deren Inhalte und Ablauf von den Teilnehmern zu Beginn der Tagung selbst entwickelt und im weiteren Verlauf gestaltet werden.“ Für mich klang das ein bisschen nach „Computerfreaks üben Sozialismus“. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Also fuhr ich hin. Nach Erfurt zum BarCamp „Jugend und Medien“.
Die meisten Teilnehmer waren gravierend jünger als ich, arbeiteten in der IT-Branche oder studierten noch. Wir stellten uns kurz mit drei Stichworten vor. Dann konnte jeder, der einen Vortrag – auch Session genannt – halten wollte, ans Mikro treten und sein Thema vorstellen. Per Handzeichen wurde gezeigt, wer daran Interesse hatte und danach ein Raum samt Anfangszeit zugeteilt. Auch ich schlug ein Thema vor und war erstaunt, wie viele der doch eher jungen Teilnehmer sich für Medienerziehung aus dem Blickwinkel einer Mutter interessierten, die per Definition den Stempel „Spätgebärende“ hat.
Der handgemachte Session-Plan. Foto:https://de-de.facebook.com/barcamperfurt
Wenig später stand ein vollständiger Session-Plan für den ersten Tag: Von sehr spezifischen Zusammenkünften, zum Beispiel über die Vor- und Nachteile bestimmter Programmiersprachen, über Themen wie „Mobil First“, „Datenschutz für Kinder“ bis hin zu gesellschaftlichen Fragen wie der, ob man seine Kinder ein Hobby nennen darf?
In den Diskussionen und Vorträgen, die ich besuchte, begegneten mir weder Eitelkeiten noch Arroganz. Man ließ einander zu Wort kommen, hörte sich zu, lernte Neues (vor allem ich), gab Erfahrungen weiter, tauschte Standpunkte und Ansichten aus.
Es war ein großartiges Wochenende, dass meine „Computerfreak“-Schublade aus der Verankerung riss und mich bereicherte. Danke dafür.
Foto: BarCampErfurt2014